La Tortuga Feliz I

Da bin ich wieder. Donnerstag vor 3 Wochen habe ich mich morgens in San Jose auf den Weg zum Busbahnhof gemacht. 3 Stunden Fahrt nach Bataan – für 2.450 Colones oder 3 €. Bereits am Busbahnhof treffe ich Erin. Sie ist aus den USA. Mit ihr werde ich die nächsten 3 Wochen verbringen.

Der Bus hält in Bataan direkt vor einem uralten Trailer. Aufgebockt, das ein oder andere Rad noch auf der Achse, aber platt, und ganz in Silber angesprüht ist der Trailer zum Pizza-Imbiss umfunktioniert. Hier treffen wir Justin von ‚La Tortuga Feliz‘. Es bleibt noch ein bißchen Zeit für letzte Einkäufe. Obwohl Bataan gefühlt nur aus einer ungeteerten Straße mit ein paar Häusern rechts und links besteht, scheint es hier fast alles zu kaufen zu geben. Noch ist Cuba nicht aus meiner Erinnerung verschwunden, so daß ich über das Einkaufsangebot des kleinen Ortes staune und mich daran erfreue. Es ist so viel umfangreicher und vielfältiger als in vielen größeren Städten auf Cuba. Ich kaufe noch ein paar Kekse, schließlich werde ich 3 Wochen ohne Einkaufsgelegenheit sein. Noch kann ich mir nicht vorstellen, daß ich 2 Wochen später von eisgekühlter Coca Cola träumen werde.

1 Uhr Mittag Abfahrt mit einem Pickup zur Bootsanlegestelle, wo uns ein Boot für unsere weitere Fahrt auf einem Kanal Richtung Meer – vorbei an der Flußmündung des Rio Pacuare – nach ‚La Tortuga Feliz‘ erwartet. Erin bekommt eine Palette Eier in die Hand gedrückt: ‚Aufpassen, daß nichts zu Bruch geht!‘ Ich habe meine Hände frei und mache erste Fotos von unserer Bootsfahrt. Bereits nach 10 Minuten hören wir Brüllaffen in den Bäumen schreien – und sehen sie dann auch. Der Kanal wird breiter, wir fahren an der ein oder anderen Lodge und schließlich an der Flußmündung ins Meer vorbei. Dazwischen können wir einen Blick auf den Vulkan Turrialba erhaschen, der heute nur wenig vor sich hinraucht. Dann wird der Kanal wieder enger und die Bootsanlegestelle von ‚La Tortuga Feliz‘ liegt vor uns. Wir werden bereits erwartet: Daniela, die das Tagesgeschäft des Projektes managt, einige Voluntäre und etliche Hunde drängen sich auf dem Anlegesteg und helfen uns beim Ausladen.

Erin und ich richten uns in einer Hütte ganz für uns ein – ein echter Luxus, da derzeit nur wenige Voluntäre vor Ort sind. Eigentlich sind die Hütten jeweils für 6 Personen ausgelegt. Puh, das wäre eng geworden. Ein erster Rundgang durch das Projekt, dann führt uns unser Weg an den Strand und von dort zur 5 Minuten entfernt liegenden hatchery (auf Deutsch: Schildkrötenaufzuchtstation – viel zu kompliziert, es bleibt beim englischen ‚hatchery‘). Wir sind an einem einsamen Stück Strand an der Karibikküste gelandet, südlich des Nationalparks Tortugero. Rund 7 Kilometer einsamer Strand, die weder zu einem Schutzgebiet gehören noch regelmäßig von Polizei oder Küstenwache patrouilliert werden. So sind Wilderer aus den umliegenden Städten keine Seltenheit, da sie hier ungestraft Schildkröten und deren Eier einsammeln können. ‚La Tortuga Feliz‘ hat es sich zur Aufgabe gemacht hier ein Gegengewicht zu setzen. Keine einfache Sache. Der erste Eindruck ist toll. Ich bin gespannt wie es weiter geht.

Ein kleiner Exkurs zu den hier an die Küste kommenden Schildkröten: Da gibt es die Lederschildkröte, die als größte lebende Schildkröte eine Panzerlänge bis zu 2,50 Metern und ein Gewicht von 700 Kilogramm erreichen kann. Ihr Name stammt von ihrer lederartigen Haut, denn sie besitzt keinen typischen Schildkrötenpanzer wie die anderen Schildkröten. Ab Juni kommen die ‚Tortuga Verde‘ (grüne Schildkröte), die im Deutschen eigentlich Suppenschildkröte heißt, und die echte Karettschildkröte (Hawksbill-Schildkröte) zur Eiablage. Diese beiden Schildkröten werden durch die Wilderer nicht nur ihrer Eier beraubt, sondern auch getötet. Die grüne Schildkröte wird dabei – wie ihr Name Suppenschildkröte es aussagt – verspeist und der Panzer der Karettschildkröte ist beliebt für die Schmuckherstellung.

Weiter geht es am nächsten Tag mit Schulungen. Vormittags werden wir in unsere Arbeit für die nächtlichen Patrouillen eingewiesen. Fragen über Fragen: Was gibt es hier für Schildkröten? Wie erkenne ich sie? Wie verhalte ich mich ihnen gegenüber? Wie dokumentiere ich meine Schildkrötenbegegnung? Markierungen an den Hinterflossen der Schildkröte lesen und notieren. Wie messe ich Länge und Breite der Schildkröte? Verletzungen notieren. Und vor allem, wie verhalte ich mich gegenüber Wilderern? Aufgrund der fehlenden Polizeipräsenz und um Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen heißt das Motto ‚Die Schildkröte gehört dem, der sie zuerst sieht.‘ Der Kopf brummt nach all den Informationen, die Daniela uns mit viel Engagement zukommen läßt.

Kaum ist der Vormittag und das Mittagessen verdaut, da geht es in die hatchery zur nächsten Schulung. Noch sehe ich nur ein eingezäuntes Stück Strand, auf dem in regelmäßigen Abständen Käfige stehen. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, daß hier in 60 bis 70 cm Tiefe Eiuer vergraben liegen, aus denen Schildkrötenbabies schlüpfen und sich durch den Sand an die Oberfläche kämpfen werden. Von Alessia lerne ich wie ich die Babies anfassen, messen und wiegen muss, bevor sie dann in die Freiheit entlassen werden dürfen und was sonst noch so in der hatchery zu tun ist.

Noch ist für mich alles Theorie, doch gleich am nächsten Abend meiner hatchery-Schicht geht es dann rund. Mit Erin zusammen habe ich alle Hände voll zu tun, da an diesem Abend 3 Nester aktiv werden. Ich staune ganz ehrfürchtig als 50 Schildkrötenbabies auf einmal durch den Sand an die Oberfläche strampeln. Zuerst bricht der Sand trichterförmig ein, dann ist die ein oder andere Nasenspitze sichtbar. Dazwischen wieder 10, 15 Minuten und mehr Stillstand, und plötzlich ist der Käfig voller kleiner Schildkröten, die raus in Richtung Meer wollen. 15 von Ihnen wiegen und messen wir – was angesichts der Aktivität der Kleinen manchmal nicht ganz einfach ist. Schließlich setzen wir die versammelte Mannschaft in einigem Abstand zur hatchery aus. Es ist ein überwältigender Anblick diese Menge kleiner Schildkröten zielstrebig und mit aller Kraft Richtung Wasser robben zu sehen. Was für ein Tempo einige von ihnen vorlegen. Ehe ich mich versehen habe, sind sie in der Nähe des Wassers angekommen und die ersten von ihnen werden von den Wellen mitgenommen. Andere wieder werden durch die erste Welle zurück an den Strand geworfen und müssen sich nochmals abstrampeln um im 2. oder 3. Anlauf das sichere Wasser zu erreichen.

Es ist ein kleines Wunder den Weg dieser kleinen Lederschildkröten zu verfolgen. Und wo geht es jetzt wohl im Meer hin? Wie kommt es, daß Baby-Wasserschildkröten alleine auf große Reise gehen können und sicher nach Hause finden? Ich lese, daß Schildkrötenbabies die ersten Jahre zwischen Plankton versteckt verbringen und in den Meeresströmungen große Entfernungen zurücklegen. Sie treiben von einer Strömung in die andere – aber wie schaffen sie es nur, die Kälte der Antarktis und Arktis zu vermeiden? Und wie um alles in der Welt finden sie nach rund 30 Jahren ihren Weg zurück an den Strand ihrer Geburt um dort ihre Eier abzulegen? Es ist doch erstaunlich, was in der Natur so alles möglich ist. Wissenschaftler der Universität von North Carolina sind bei Unechten Karettschildkröten auf einen genetisch festgelegten Sensor gestoßen, der das Erdmagnetfeld registriert. Mit dessen Hilfe bekommen die Schildkröten zu gegebener Zeit den Tipp, die Reiserichtung zu ändern.

Noch sind die Wissenschaftler dabei die ‚Lost Years‘, wie sie die ersten Jahre der kleinen Wasserschildkröten nennen, zu erforschen. So haben zwei Meeresbiologinnen der Universität Florida siebzehn Schildkrötenbabys zwischen vier und sechs Monaten mit GPS Sendern ausgestattet. Per Satellit konnten sie verfolgen, daß eines dieser Schildkrötenbabies in 70 Tagen um die 7200 Kilometer zurücklegte, eine Entfernung wie von London nach Mumbai. Toll, oder?

 

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